Das Horizontenverfahren: Wöhlerversuche planen und auswerten

Das Horizontenverfahren: Wöhlerversuche planen und auswerten

Wollen Sie die statistische Auswertungen von Wöhlerlinien selbständig durchführen? Vielleicht weil Sie die Wöhlerlinie für Ihren Festigkeitsnachweis nicht rechnerisch abschätzen können oder weil Ihnen die rechnerische Abschätzung zu ungenau ist? Hier erfahren Sie wie Sie mit Hilfe des Perlschnurverfahrens Wöhlerlinien statistisch auswerten und den Wöhlerversuch planen.

Wöhlerlinien nach dem Horizontenverfahren auswerten - Erfahrungen, Praxistipps, konkrete Berechnung

In diesem Artikel lernen Sie

  • das Horizontenverfahren kennen
  • den Unterschied zwischen dem Horizontenverfahren und dem Perlschnurverfahren
  • wie Sie den mittleren Verlauf der Wöhlerlinie statistisch auswerten
  • worauf es bei der Versuchsplanung ankommt
  • Praxistipps für die Planung und Auswertung kennen.

Inhalt:

  1. Grundlagen
    1. Der Wöhlerversuch
    2. Vergleich Perlschnurverfahrens mit Horizontenverfahren
  2. Das Horizontenverfahren
    1. Ermittlung der Neigung
    2. Ermittlung der Knickpunktzyklenzahl bei bekannter Dauerfestigkeit
    3. Ermittlung der Dauerfestigkeit bei angenommener Knickpunktzyklenzahl
  3. Praxistipps
  4. Auf den Punkt
  5. Weitere Informationen

Grundlagen

Die Ergebnisse eines Wöhlerversuches werden üblicherweise in ein doppellogarithmisches Netz eingetragen. Um den mittleren Verlauf der Wöhlerlinie zu bestimmen sind dann noch zwei Geraden einzuzeichnen, die den Zeitfestigkeitsbereich und den Bereich der Dauerfestigkeit beschreiben.
Zur Visualisierung der Streuungen wird noch ein Streuband angegeben. Dieses wird durch zwei zusätzliche parallele Wöhlerlinien für die Ausfallwahrscheinlichkeiten von 10% und 90% beschrieben. Die Berechnung des Streubandes ist nicht Gegenstand dieses Artikels.
Folgende Abbildung illustriert das Vorgehen anschaulich.

Drei Schritte zur Auswertung von Wöhlerlinien im Zeitfestigkeitsbereich (Perlschnurverfahren)

Drei Schritte zur Auswertung von Wöhlerlinien im Zeitfestigkeitsbereich (Perlschnurverfahren)

Der Wöhlerversuch

Die Betriebsfestigkeit ist ein empirisches Fachgebiet. Das bedeutet, dass viele Erkenntnisse auf der Interpretation von Versuchsergebnissen beruhen. Ein Beispiel dazu ist die experimentell ermittelte Wöhlerlinie. Im Wöhlerversuch wird die Spannungsamplitude variiert und für jede Spannungsamplitude wird so lange getestet, bis die Lebensdauer erreicht ist.
Die Versuchsergebnisse streuen. Als Ergebnis liegt also eine Datenpunktwolke und kein funktionaler Zusammenhang vor. Um in diese Datenpunktwolke eine Ausgleichsfunktion zu legen, die den Trend beschreibt werden Regressionsmethoden verwendet. Im Gegensatz zur typischen Regression wird in der Betriebsfestigkeit die Zyklenzahl (also der x-Wert) als Zufallsgröße gewählt.
Prinzipiell existiseren zwei Möglichkeiten (und beliebige Mischformen dieser beiden Möglichkeiten) um die Versuche durchzuführen.

Vergleich Perlschnurverfahren und Horizontenverfahren

Im Falle des Perlschnurverfahrens wird für jede Spannungsamplitude (Lastniveau) nur ein Prüfling solange getestet bis dieser ausfällt.

Das Perlschnurverfahren zur Ermittlung des Zeitfestigkeitsbereiches der Wöhlerlinie

Das Perlschnurverfahren zur Ermittlung des Zeitfestigkeitsbereiches der Wöhlerlinie

Im Falle des Horizontenverfahrens werden für jede Spannungsamplitude (Lastniveau) mehrere Prüflinge bist zum Ausfall getestet.

Das Horizontenverfahren zur Ermittlung der Zeitfestigkeit im Wöhlerversuch (schematisch)

Das Horizontenverfahren zur Ermittlung der Zeitfestigkeit im Wöhlerversuch (schematisch)

Prinzipiell sind beliebige Mischformen in der Versuchsführung denkbar.

Vorteile des Perlschnurverfahrens:

  • wenn wenig über den Werkstoff bekannt ist, denn dann kann der mittlere Verlauf der Wöhlerlinien mit relativ geringem Aufwand bestimmt werden.
  • Sehr robust, da die Versuche über einen weiten Bereich der Wöhlerlinie platziert werden können.
  • Setzt nur eine geringe Versuchsplanung voraus.

Nachteile des Perlschnurverfahrens:

  • Streuungen können nur unter der Annahme einer von der Last unabhängigen Streuung ausgewertet werden

Vorteil des Horizontenverfahrens:

  • Streuungen können in Abhängigkeit der Last (Spannungsamplitude) ermittelt werden
  • wenn die Horizonte gut platziert sind (möglichst weit voneinander entfernt, dann liefert dieses Verfahren die genaueste Möglichkeit zur Ermittlung der Neigung

Nachteil des Horizontenverfahrens:

  • Die Planung ist aufwändig, da die (beiden) Lasthorizonte möglichst weit voneinander entfernt platziert werden sollten. Dazu ist Vorwissen nötig. Es muss bekannt sein wo etwa die Wöhlerlinie liegen wird. Möglich ist dies z.B. mit der Berechnung der Wöhlerlinie nach der FKM Richtlinie oder aus Erfahrungen (z. B. aus Vorgängerprodukten).

Das Horizontenverfahren

Die Wöhlerlinie lässt sich im doppellogarithmischen Netz als Gerade darstellen, siehe folgende Wöhlerlinie für Stahl:

Das Horizontenverfahren zur Ermittlung der Zeitfestigkeit im Wöhlerversuch (schematisch)

Das Horizontenverfahren zur Ermittlung der Zeitfestigkeit im Wöhlerversuch (schematisch)

Die Gleichung ist:

Darin ist
σa die Spannungsamplitude,
σD die Dauerfestigkeit,
Na die zur Spannungsamplitude σD gehörende Zyklenzahl
ND die Knickpunktzyklenzahl und
k der Neigungsexponent (dieser entspricht der Steigung).

Zur Ermittlung der Wöhlerlinie im Zeitfestigkeitsbereich wird der Wöhlerversuch in der Art geführt werden, dass auf mehreren Lasthorizonten (σa,i) Versuche bis zum Bruch gefahren werden. Üblich sind hier zwei Horizonte, siehe dazu auch obige Abbildung.

Jeder Lasthorizont kann anschließend unter Annahme der logarithmischen Normalverteilung separat bezüglich seines Mittelwertes und der Streuung ausgewertet werden.

Ermittlung der Neigung

Der mittlere Verlauf der Wöhlerlinie wird mittels Regressionsrechnung aus den Versuchsdaten bestimmt. Im Falle der Beschreibung der Wöhlerlinie wird in die folgenden Gleichungen  als „x-Werte“ die erklärende Variable eingetragen, also die Spannungsamplituden σa,i. Als „y-Werte“ wird die zu erklärende Variable eingetragen, also die Zyklenzahlen Ni.

Dies steht im Gegensatz zur üblichen Vorgehensweise, da bei der Ermittlung der Wöhlerlinie immer die Spannungsamplitude variiert wird und sich die zugehörige Lebensdauer aus dem Versuch ergibt. Die Steigung (Parameter m) berechnet sich analog der Gleichung weiter unten. Da sich die Wöhlerlinie nur im doppellogarithmischen Netz als Gerade darstellen lässt, werden sowohl die x- als auch die y-Werte logarithmiert.


oder einfacher direkt mit dem Excel Formeln:

EXCEL: m = STEIGUNG(lg(N);lg(σa))

Der Achsenabschnitt berechnet sich nach:

oder mit Hilfe der Excel Formeln:

EXCEL: c = ACHSENABSCHNITT (lg⁡(N);lg⁡(σa))

mit den Mittelwerten:

EXCEL:


EXCEL:

wobei n die Anzahl der Versuche ist. Zur Ermittlung der Wöhlerlinie müssen Dauerfestigkeit σD, Knickpunktzyklenzahl ND und Neigungsexponent k bestimmt werden. Zwischen Neigungsexponent k und Steigung m besteht der Zusammenhang:
k= - m.

Ermittlung der Knickpunktzyklenzahl bei bekannter mittlerer Dauerfestigkeit

Ist die mittlere Dauerfestigkeit σD aus den Auswertungen von Dauerfestigkeitsversuchen (z.B. dem Treppenstufenversuch oder Berechnungen bekannt, dann kann die Knickpunktzyklenzahl ND) aus der der Geradengleichung y=mx+c berechnet:
y = mx+c

lg(N) = m∙lg⁡(σ)+c

mit σ = σD kann dann Knickpunktzyklenzahl ND berechnet werden:

lg(ND) = m∙lg⁡(D)+c

mit m und c aus dem obigen Gleichungen bei der Regression.

Ermittlung der mittleren Dauerfestigkeit bei angenommener Knickpunktzyklenzahl

Nicht immer liegen Dauerfestigkeiten vor. In diesem Fall kann auch eine Annahme für die Knickpunktzyklenzahl getroffen werden. Dies ist sicherlich der üblicherer Weg. Für die Knickpunktzyklenzahl gilt nach der FKM Richtlinie in der 7. Auflage* für Metalle
ND=106.

Die Dauerfestigkeit wird aus der Geradengleichung y=mx+c berechnet:

y = mx+c

lg(N) = m∙lg⁡(σ)+c

mit ND = 106 und σ = σD kann dann die Dauerfestigkeit σD berechnet werden:

lg(ND) = m∙lg⁡(σD)+c

σD = (ND/10c)1/m.

mit m und c aus dem obigen Gleichungen bei der Regression.

Hinweis: Die nach diesem Vorgehen ermittelte Dauerfestigkeit ist als Stützpunkt der Wöhlerlinie anzusehen. Für eine konservativere Auslegung kann mit ND=107 gerechnet werden. Für eine genaue experimentelle Ermittlung der Dauerfestigkeit sind spezielle Verfahren wie das Treppenstufenverfahren oder das Probitverfahren notwendig.

Praxistipp:

Allgemein gilt:

  • Wenn wenig über den Werkstoff bekannt ist, dann sollte das Perlschnurverfahren die erste Wahl sein.
  • Weichen die Ergebnisse von einer Geraden ab (z. B. zu hohe oder zu niedrige Horizonte, dann können diese aus der Auswertung entfernt werden)

Für die Versuchsplanung gilt:

  • Für die Auswahl des ersten Versuchspunktes empfiehlt es sich die Wöhlerlinie nach z. B. der FKM Richtlinie in der 7. Auflage* zu berechnen und den ersten Versuch im Schwerpunkt der Wöhlerlinie bei N = 105 Zyklen zu platzieren.
  • Versuche möglichst weit voneinander entfernt platzieren. Dann ist die Auswertung bezüglich der Neigung deutlich robuster. Gut ist, wenn der höchste Lasthorizont bei etwa N1 = 2*10 und der niedrigste bei N2 = 5*105 Zyklen liegt.
  • Mit etwa 10 Proben kann der mittlere Verlauf der Wöhlerlinie gut experimentell bestimmt werden.
  • Je besser die Versuchsvorbereitung, umso effizienter ist die Versuchsführung.

Für die Versuchsdurchführung gilt:

  • Beginnen Sie mit Versuchen, die möglichst geringe Lebensdauern (ca. N = 105) aufweisen, da diese releativ Schnell ein Ergebnis liefern. Denken Sie daran, dass zwischen einer Lebensdauer von N = 10 und N = 106 der Faktor 10 liegt! Dauert der erste Versuch drei Stunden, dann dauert der zweite Versuch bereits 30 Stunden!
  • Arbeiten Sie sich dann von hohen Lasthorizonten zu den niedrigen Lasthorizonten durch.

Auf den Punkt:

Der mittlere Verlauf der Wöhlerlinie:

  • Mit Hilfe der Regression wird der mittlere Verlauf der Wöhlerlinie berechnet.
  • Bei Wöhlerlinien werden quadratische Abweichungen in x-Richtung (Lebensdauerrichtung N) minimiert

Allgemein:

  • meist werden nur zwei Horizonte getestet.
  • Ohne Erfahrungen (z. B. aus Vorgängerprodukten) sind diese Horizonte schwierig platzierbar.
  • Versuche möglichst weit voneinander entfernt platzieren. Dann ist die Auswertung bezüglich der Neigung deutlich robuster. Es empfiehlt sich der Faktor 10 zwischen der mittleren Lebensdauer des kleinsten und des größten Lasthorizonts, siehe dazu auch die Ausführungen in der Dissertation von Hr. Dr. Müller zur statistischen Auswertung von Wöhlerlinien.
  • Für die Auswahl des ersten Versuchspunktes empfiehlt es sich die Wöhlerlinie nach z. B. der FKM Richtlinie in der 7. Auflage* zu berechnen und den höchsten Lasthorizont bei N1 = 2*10 und der niedrigste bei N2 = 5*105 Zyklen zu wählen.
  • Je besser die Versuchsvorbereitung, umso effizienter ist die Versuchsführung.

Weiterführende Informationen zur Auswertung von Wöhlerversuchen

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Weiterführende Literatur

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Der Autor:

Hr. Dr.-Ing. Stefan Einbock Gründer und Geschäftsführer der EinbockAKADEMIE sowie Experte für die Betriebsfestigkeit und Zuverlässigkeit.

Photo by Cornelia Ng on Unsplash (bearbeitet),

Lizenz: CC0 1.0

 
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