Das Abgrenzungsverfahren: Dauerfestigkeitsversuche statistisch auswerten und planen.
Versuche zur Ermittlung der Dauerfestigkeit sind aufwändig, teuer und erfordern hohe Stichproben. Das Abgrenzungsverfahren ermöglicht es diese Versuche sinnvoll zu planen und auszuwerten. Auch für geringe Stichproben! Hier erfahren Sie wie Sie mit Hilfe des Abgrenzungsverfahrens Dauerfestigkeiten statistisch auswerten und den Versuch planen.
In diesem Artikel lernen Sie,
- wie Sie das Abgrenzungsverfahren richtig anwenden indem Sie Ihre Dauerfestigkeitsversuche danach planen und auswerten
- wann Sie das Abgrenzungsverfahren anwenden sollten, und wann nicht
- welche weiteren Verfahren es gibt, und wann diese angewandt werden
- Praxistipps für die Planung und Auswertung kennen.
Inhalt
Übersicht der Verfahren zu Dauerfestigkeitsauswertung
Für die Auswertung der Versuche im Dauerfestigkeitsbereich stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung. Müller hat in seiner Dissertation zur statistischen Auswertung der Dauerfestigkeiten umfangreich untersucht welche Auswerteverfahren die treffsichersten Ergebnisse liefern. Diese Ergebnisse sind auch in die DIN50100 eingeflossen. Untersucht wurde das Treppenstufenverfahren und die Auswertung nach Hück, Maximum Likelihood, Deubelbeiss und Klubberg sowie das Probitverfahren und das Abgrenzungsverfahren.
Bei der Bewertung der Verfahren muss unterschieden werden, ob nur die Mittelwerte σD,50% oder auch die Streuungen (also die Standardabweichungen sσ ) ermittelt werden sollen. Für die Auswertung von Mittelwerten sind alle Verfahren geeignet. Die nötigen Stichprobenumfänge sind überschaubar. Anders sieht dies bei der Auswertung der Streuungen aus. Um hier treffsichere Aussagen liefern zu können, sind die erforderlichen Stichprobenumfänge teilweise sehr hoch.
Empfehlungen
Für die Auswertung der Dauerfestigkeit werden folgende drei Verfahren empfohlen:
- das Treppenstufenverfahren mit der Auswertung nach Hück liefert neben einer einfachen und robusten Versuchsführung die zuverlässigsten Ergebnisse bei der Auswertung des Mittelwertes.
- trotz der schlechteren statistischen Ergebnisse wird außerdem noch auf das Probitverfahren eingegangen, da es eine hohe Verbreitung aufweist.
- das Abgrenzungsverfahren ist insbesondere für die Auswertung von Streuungen bei kleinen Stichprobenumfängen (n < 40) anzuwenden. Im Vergleich zum Treppenstufenverfahren liefert es vergleichbare Ergebnisse bei der Mittelwertauswertung. Die Versuchsplanung ist jedoch aufwändiger.
Das Abgrenzungsverfahren zur Auswertung der Dauerfestigkeit
Nach dem Abgrenzungsverfahren [13] werden Versuche auf zwei Lasthorizonten im Übergangsbereich der Dauerfestigkeit gefahren. Das bedeutet, dass auf beiden Horizonten sowohl Ausfälle, also auch Durchläufer auftreten. Aus diesen beiden Lasthorizonten werden die mittlere Dauerfestigkeit und die Standardabweichungen berechnet. Idealerweise haben beide Horizonte dieselbe Versuchsanzahl.
Die Vorgehensweise des Abgrenzungsverfahrens erfolgt in drei Schritten:
- Versuchsführung inkl. Auswahl des Starthorizontes
- Ermittlung des zweiten Lasthorizontes über den Verschiebungsfaktor xA
- Auswertung der Ergebnisse im Wahrscheinlichkeitsnetz
Schritt 1: Festlegung des Starthorizontes
Vor Auswahl des Starthorizontes wird der Stufensprung d gewählt. Dies bedeutet bei logarithmischer Skalierung einem konstanten Stufensprung lg(d). Es ist derselben Methode wie beim Treppenstufenverfahren. Zur Wahl der Lasthorizonte bietet sich ein logarithmisch konstanter Stufensprung lg(d) an. Der maximale und der minimale Lasthorizont sollten in Abhängigkeit der geschätzten logarithmischen Standardabweichung sσ und der geschätzten Dauerfestigkeit σD,50% gewählt werden. Für die Schätzung der Standardabweichung sσ bieten sich entweder die Erfahrungswerte für Streuungen nach Haibach oder eigene Werte aus vorangegangenen Versuchen an. Die Dauerfestigkeit σD,50% kann z. B. über geeignete Richtlinien (z. B. die FKM-Richtlinie) oder ebenfalls über Erfahrungswerte abgeschätzt werden.
Als erste Laststufe wird häufig die rechnerisch abgeschätzte Dauerfestigkeit σD* gewählt. Die Treppenstufen (oder auch Lasthorizonte) sollen alle den gleichen Abstand zueinander haben. Dieser Abstand wird als Stufensprung d bezeichnet. Da Wöhlerversuche immer im doppellogarithmischen Netz dargestellt werden, bedeutet dies, dass der logarithmische Stufensprung lg(d) zwischen zwei Spannungsamplituden gleich ist:
lg(d) = lg σa,i - lg σa,i+1 = lg(σa,i/σa,i+1) = konstant = lg(σa,i/σD*)
σa,i = σD* · di
mit
i = ..., -3, -2, -1, 0, 1, 2, 3, ...
σD* = abgeschätzte Dauerfestigkeit (z.B. mittels FKM-Richtlinie)
d = Stufensprung
σa,i = i-te Laststufe.
Eine gute Wahl des Stufensprungs d ist getroffen, wenn für das Verhältnis aus der zu erwartenden Standardabweichung sσ (siehe dazu auch die Erfahrungswerte für Streuungen nach Haibach) zum logarithmischen Stufensprung lg(d) gilt:
lg(d) = sσ ≈ 0,03...0,06.
Auf dem ersten Lasthorizont wird ein Versuch durchgeführt. Abhängig vom Ergebnis wird der nächste Lasthorizont gewählt. Handelt es sich um einen Ausfall, dann wird der nächste Lasthorizont um den Stufensprung niedriger gewählt. Trat dagegen ein Durchläufer auf, dann wird auf dem nächsthöheren Lasthorizont geprüft (vgl. dazu folgende). Dies wird solange fortgeführt, bis zum ersten Mal das entgegengesetzte Ergebnis auftritt. Der Lasthorizont, bei dem dies auftritt, ist dann der erste Prüfhorizont σa,1. Hier wird nun die Hälfte der Bauteile geprüft (vgl. dazu folgende Abbildung).
Praxistipp:
Auch für das Abgrenzungsverfahren kann mit beliebigen Startwerten begonnen werden. Je näher der Startwert σa,1 = σD* an der realen Dauerfestigkeit σD liegt, umso weniger Versuche sind nötig. Dazu kann entweder auf Erfahrungswerte aus früheren Versuchen zurückgegriffen werden, oder die Dauerfestigkeit wird rechnerisch abgeschätzt. Hier bietet sich beispielsweise die FKM-Richtlinie an.
Schritt 2: Ermittlungen des zweiten Lasthorizonts über den Verschiebungsfaktor xA
Nachdem die Prüfung auf dem ersten Prüfhorizont σa,1 abgeschlossen wurde, wird der zweite Prüfhorizont σa,2 ermittelt (siehe dazu auch obige). Dazu unterscheidet man zwei Fälle:
- Fall 1: Auf dem ersten Horizont sind mehr Ausfälle als Durchläufer aufgetreten, dann ist der erste Prüfhorizont σa,1 größer als der zweite Prüfhorizont σa,2.
- Fall 2: Treten auf dem ersten Horizont mehr Durchläufer als Ausfälle auf, gilt das Gegenteil. Der erste Prüfhorizont σa,1 ist dann kleiner als der zweite Prüfhorizont σa,2.
Die Wahl des zweiten Prüfhorizontes geschieht in Abhängigkeit des Verschiebungsfaktors xA. Es wird empfohlen
xA = 2
zu wählen. Konkret berechnet sich der zweite Prüfhorizont σa,2 mit der Anzahl der Ausfälle nA,1 und der gesamten Anzahl an Versuchen n1 auf dem ersten Lasthorizont σa,1
- lg(σa,2) = lg(σa,1) + (1+nA,1/n1) ∙ xA ∙ sσD, wenn nA,1/n1 ≤ 0,5 (mehr Durchläufer),
- lg(σa,2) = lg(σa,1) - (1+nA,1/n1) ∙ xA ∙ sσD, wenn nA,1/n1 > 0,5 (mehr Ausfälle).
Für die Standardabweichungen sσ ≈ 0,03...0,06 muss wieder eine Annahme getroffen, oder auf Erfahrungswerte z. B. die Erfahrungswerte für Streuungen nach Haibach zurückgegriffen werden.
Schritt 3: Auswertung im Wahrscheinlichkeitsnetz
Zur Auswertung der Ergebnisse wird für beide Horizonte die Ausfallwahrscheinlichkeit PA,i nach Rossow berechnet:
PA,i = (3 ∙ nA,i - 1)/(3 ∙ ni+1)
mit
nA,i (Anzahl der Ausfälle für den i-ten Lasthorizont) und
ni (Anzahl der Versuche für den i-ten Lasthorizont)
Die Wertepaare aus Ausfallwahrscheinlichkeit PA,i und Lasthorizont σa,i lassen sich jetzt in ein Wahrscheinlichkeitsnetz eintragen und auswerten (siehe folgende Abbildung). Dabei wird eine logarithmische Normalverteilung angenommen.
Praxistipp:
für die direkte Auswertung haben wir Ihnen auch ein praktisches Excel Tool für das Wahrscheinlichkeitsnetz zum Download bereitgestellt.
Auf den Punkt
Das Abgrenzungsverfahren
- ist sehr gut geeignet, um die mittlere Dauerfestigkeit aus Versuchen zu ermitteln,
- kann außerdem auch bei geringen Stichprobenumfängen die Streuungen (Standardabweichung) zutreffend bestimmen,
- nutzt das Wahrscheinlichkeitsnetz für die Auswertung (hier finden Sie ein Excel Tool für das Wahrscheinlichkeitsnetz).
Weiterführende Informationen zur Auswertung von Wöhlerversuchen
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Sie lernen hier,
- wie Sie Wöhlerversuche und Dauerfestigkeitsversuche mit geringst möglichem Stichprobenumfang durchführen
- Wöhlerlinien und Dauerfestigkeiten statistisch auszuwerten
- Ausreißer zu finden und mit Ausreißern umzugehen
- Versuche aus der Vergangenheit zu nutzen
- mit sehr geringen Stichprobenumfängen umzugehen
- Sicherheiten für Ihre Bauteilauslegung abzuleiten
- zwei Wöhlerlinien statistisch miteinander zu vergleichen
- einen kurzen Einstieg in die Betriebsfestigkeit kennen.
Weiterführende Literatur
Um Wöhlerkurven und Dauerfestigkeiten statistisch auszuwerten und zu planen, bietet sich außerdem unser Buch Statistik der Betriebsfestigkeit an.
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