Ein Bericht aus dem Handelsblatt zeigt, dass die Rückrufe in den USA 2015 deutlich gestiegen sind.
Ich nehme dies zum Anlass, mir aus Sicht eines für die Bauteilauslegung verantwortlichen Ingenieurs ein paar Gedanken zu den Ursachen der Rückrufe zu machen, und was wir Ingenieure daraus lernen können um robuste Produkte zu entwickeln.
Warum sind die Ausfallzahlen so hoch?
Grund 1) immer höhere Anforderungen an die Bauteilauslegung
An moderne Fahrzeuge werden hohe Anforderungen gestellt. Diese steigen stetig an. Gleichzeitig sollen die Kosten so gering wie möglich bleiben. Dies ist ein Widerspruch. Anbei ein paar Beispiele.
Moderne Fahrzeuge werden bezüglich ihrer Fahrdynamik immer spezifischer abgestimmt. Es steigen stetig die Anforderungen an Leistung, und Drehmoment. Da zusätzlich immer weniger Bauraum zur Verfügung steht und die Motoren wegen eines Downsizings immer stärker ausgelastet werden steigen dabei die Bauteilbelastungen an.
Fahrzeugkäufer haben hohe Ansprüche bezüglich Komfort. Es wird z.B. erwartet, dass keine störenden Geräusche auftreten. Zusätzlich soll die Verarbeitung wertig sein und auch die verwendeten Materialien müssen neben der Funktion auch Ansprüchen bezüglich Haptik und Optik erfüllen. Auch die Schnittstellen zu Elektronikkomponenten wie Handys werden mittlerweile als Standard vorausgesetzt und steigen.
Daneben steigt die Sicherheit im Fahrzeug. Neben passiven Systemen wie Airbags, automatischen Gurtstraffern, Knautschzonen oder Überrollbügel steigt die Anzahl an aktiven Systemen. Dazu zählen klassische Systeme wie ABS und ESP aber auch Müdigkeitswarner, Spurhaltesysteme oder auch Head Up Displays und Stauwarner. Neuerdings vernetzen sich Fahrzeuge untereinander immer stärker. Die Vernetzung lässt dann Systeme wie Kreuzungsassistenten zu, die automatisch warnen, wenn zwei Fahrzeuge an einer Kreuzung auf Kollisionskurs sind.
Aktuelle Diskussionen zur Umweltverträglichkeit nehmen zu. Treiber dafür sind z.B. der Feinstaubalarm in Stuttgart, die Smog Situation in chinesischen Großstädten oder aus globaler Sicht der Klimawandel. Darauf reagieren Autobauer z.B. mit einer stärkeren Elektrifizierung, Leichtbaumaßnahmen oder besseren Filtern.
Alle vorne Beschriebenen Anforderungen resultieren in aufwändigeren und damit teureren Fahrzeuge. Damit steigt der Kostendruck. Es liegt ein klassischer Zielkonflikt aus höherer Komplexität bei geringeren Kosten vor.
Eine Maßnahme zur Lösung dieses Zielkonfliktes ist eine Baukastenstrategie. Dabei werden dieselben Komponenten in möglichst vielen Fahrzeugen verbaut. Dadurch steigt die Anzahl der Gleichteile und die Kosten je Komponente sinken.
Aber: Keine Chance ohne Risiko.
Risiko 1: hohe Stückzahlen
Werden dieselben Komponenten in vielen unterschiedlichen Fahrzeugen eingesetzt ist bei einem Ausfall der Komponente potenziell eine hohe Anzahl an Fahrzeugen betroffen.
Risiko 2: vielfältige Lasten
Dieselben Komponenten werden in unterschiedlichen Fahrzeugklassen eingesetzt. Z.B. Im Sportwagen genauso wie im SUV oder der Kompaktklasse. Damit steigt aber die Varianz der Fahrertype, der Fahrzyklen oder gar der Fahrzeugmärkte deutlich an. Dieselbe Komponente wird also in einem SUV deutlich anders belastet als in einem Sportwagen. Diese Varianz muss bereits in der Entwicklung und Auslegung der Komponenten berücksichtigt werden, was immer schwieriger wird.
Risiko 3: Wechselwirkungen
Bei der Auslegung von Komponenten auf die Lebensdauer müssen Wechselwirkungen berücksichtigt werden. Dies bedeutet, dass das System, in welches die Komponente eingebettet ist dieselbe belasten kann und umgekehrt. Ein Beispiel: Die Abwärme des Verbrennungsmotors belastet alle umgebenden Komponenten. Sind diese am Motorgehäuse angeflanscht, belasten aber auch die Komponenten den Motor durch mechanische Schwingungen. Je mehr Komponenten verbaut sind umso höher die Anzahl der Wechselwirkungen.
Grund 2) immer komplexere Vernetzung
Bestanden früher noch Fahrzeuge überwiegend aus voneinander unabhängigen Einzelkomponenten, so lernen sich heute einzelne Komponenten immer Stärker „kennen“. Die Vernetzung im Fahrzeug führt dazu, dass immer mehr Komponenten über Software miteinander verbunden sind. Dadurch steigt die Anzahl der Elektrischen und Elektronischen Komponenten. Ca. 1/3 der Ausfälle betreffen mittlerweile die Elektrik oder die Elektronik.
Grund 3) immer höhere Garantiezeiträume und größeres gesellschaftliches Interesse
In aktuellen Werbeprospekten finden sich z.T. Angebote mit Garantiezeiträumen mehr als 5 Jahren! Dies zeigt, dass der OEM die Qualität der Fahrzeuge weiter in den Fokus rückt. Zusätzlich werden Ausfälle von Organisationen wie dem ADAC oder dem Kraftfahrtbundesamt immer kritischer gesehen.
Auf den Punkt
Auf den Punkt gebracht bedeutet dies für uns Entwicklungsingenieure, dass
- sich Ausfälle stärker auswirken,
- Sicherheitsrelevante Ausfälle kritischer wahrgenommen werden,
- die Wechselwirkungen von Bauteilen zunehmen,
- neben der Komplexität auch die Erwartung an eine höhere Qualität der Produkte steigt.
Man kann also sagen, dass die Aufgaben die auf uns Ingenieuer warten herausfordernd bleiben. Nicht umsonst kann man den Ingenieur auch folgendermaßen schreiben
InGENIEeur 😉
Ausblick Empfehlungen zur robusten Bauteilauslegung:
Im nächsten Artikel erfahren Sie, wie Sie als Ingenieur darauf reagieren können, um diesen Zielkonflikt auflösen zu können. Speziell werden Sie erfahren, wie bei gleichem Budget Bauteile robuster ausgelegt werden können.
Empfohlene Bücher zu diesem Artikel
Leitfaden für eine Betriebsfestigkeitsrechnung: Empfehlungen zur Lebensdauerabschätzung von Maschinenbauteilen
Autoren: Gudehus, H.; Zenner, H.:
Wer einen Einstieg in die Betriebsfestigkeit sucht ist mit diesem Buch genau richtig. Es behandelt alle wichtigen Konzepte der Betriebsfestigkeit. Außerdem gibt dieses Buch jedem Berechner und Konstrukteur gleichzeitig konkrete Möglichkeiten zur Berechnung der Wöhlerlinien (für die Berechnung von Wöhlerkurven nach den Hinweisen in diesem Buch habe ich auch ein Tool zur kostenlosen Verfügung gestellt: Wöhlerlinie berechnen nach ABF04). Zusätzlich werden mehrere Übungsaufgaben gestellt und detailliert gelöst.
Neben den fachlichen Vorteilen ist außerdem der Preis sehr attraktiv.
Fazit: Für den Einstieg in die Betriebsfestigkeit absolut die Nr. 1.
Rechnerischer Festigkeitsnachweis für Maschinenbauteile: FKM-Richtlinie
Herausgeber: Forschungskuratorium Maschinenbau (FKM)
Die FKM-Richtlinie ist speziell für kleine und mittelständische Unternehmen konzipiert. Mit dieser Richtlinie können statische Festigkeitsnachweise und Betriebsfestigkeitsnachweise geführt werden. Sie beinhaltet außerdem im Anhang noch Beispiele für deren Anwendung. Ein Nachweis ist mit und ohne FEM möglich. Außerdem können geschweißte und ungeschweißte Bauteile ausgelegt werden.
Größt mögliche Flexibilität ist damit gewährleistet.
Fazit: Für jeden, der einen Festigkeitsnachweis führen möchte, der richtlinienbasiert ist, genau das Mittel der Wahl. Einziger Wermutstropfen: man benötigt etwas Zeit und Ruhe sich in die Richtlinie einzuarbeiten. Die Empfehlung ist: nehmen Sie sich diese Zeit, es lohnt sich!