Wie sich aktuelle Entwicklungstrends in der Automobilindustrie auf die Arbeit eines Entwicklungsingenieurs auswirken (Teil 1/2) und was wir daraus lernen können (Teil 2/2)

Ein Bericht aus dem Handelsblatt zeigt, dass die Rückrufe in den USA 2015 deutlich gestiegen sind.

Ich nehme dies zum Anlass, mir aus Sicht eines für die Bauteilauslegung verantwortlichen Ingenieurs ein paar Gedanken zu den Ursachen der Rückrufe zu machen, und was wir Ingenieure daraus lernen können um robuste Produkte zu entwickeln. 

Was können wir Ingenieure tun, um Fehler zu vermeiden?

Schritt 1) Potenzielle Fehler (mittels FMEA) identifizieren

Zur Risikominimierung müssen alle potenziell kritischen Fehler im Rahmen der Entwicklungsarbeit gefunden und behoben werden. Um die Breite potenzieller Fehler zu identifizieren eignet sich z.B. die FMEA. Diese ist der anerkannte Stand der Technik und wird damit im Haftungsfall anerkannt. Alternativ können auch andere Methoden verwendet werden. In unserem Seminar zur Zuverlässigkeit "Bauteile robust auslegen und effizient erproben" lernen Sie hier eine andere sehr pragmatische Möglichkeit kennen.

Aus eigener Erfahrung heraus wird die FMEA eher als Dokumentationswerkzeug im Nachgang an die Entwicklung genutzt und nicht – wie eigentlich gedacht – als entwicklungsbegleitende Maßnahme. Sichtbar wird dies, wenn das Team der FMEA z.B. nur noch aus einen Moderator und einem durch Gummibärchen geköderten Konstrukteur besteht 😉 Damit beraubt man diese Methode natürlich ihrer Schlagkraft. In einem früheren Artikel habe ich die typischen Fehler einer FMEA beschrieben und Maßnahmen aufgezeigt, wie die FMEA erfolgreich werden kann.

Wichtig ist in jedem Fall ein gutes Werkzeug entwicklungsbegleitend (d.h. ab A-Muster) zu nutzen um Potenzielle Fehler zu entdecken und zu beheben.

Fazit: Besser alles ein bisschen, als wenig sehr genau.

Schritt 2) Wirkzusammenhänge verstehen

Um potenzielle Fehler ausschalten oder minimieren zu können muss der Wirkzusammenhang bekannt sein. Dies bedeutet, dass verstanden werden muss, durch welche Schadensmechanismen das Bauteil ausfällt, also durch Schwingbruch, Verschleiß, Elektropitting, Kriechen,… Je besser dieser Zusammenhang verstanden ist, umso robuster kann die Auslegung erfolgen. Oftmals müssen dazu zusätzliche Werkstoffversuche zur Quantifizierung durchgeführt werden. Diese Werkstoffanalyse kostet viel Zeit und sollte unbedingt durch Diskussionen mit Experten geführt werden. Hier bieten sich Hochschulen als gute Partner an.

Fazit: Schwachstellen genau kennen.

Schritt 3) Lasten kennen lernen (auch aus Sicht des Fahrers / Bedieners / Kunden)

Die Last auf die Bauteile spielt die wesentliche Rolle bei der Auslegung, da deren Ermittlung oft mit großen Annahmen verbunden ist. Die Einflüsse sind vielfältig:

  • Kunde/Bediener/Fahrer,
  • Fahrzeug (übergeordnetes System)
  • Umgebungsbedingungen
  • Alterung
  • Wechselwirkungen mit anderen Komponenten
  • Fertigung

Die zweite Schwierigkeit liegt darin diese Lasten auf den Versagensort uns spezifisch für den Schadensmechanismus abzuleiten. Hier helfen Simulations- und Messmethoden. Insbesondere die Wechselwirkungen mit anderen Komponenten ist ein sehr hinterhältiger Einfluss;) Sind die Lasten bekannt, kann darauf die Konstruktion angepasst werden.

Fazit: Eine Last, wohl gefaßt, ist nur eine halbe Last (Sprichwort).

 

Schritt 4) Auf alle kritischen Schadensmechanismen auslegen

Wir alle sind Menschen. Und wir haben alle unterschiedliche Vorlieben. Im Falle der Bauteilauslegung bedeutet dies, dass wir dazu neigen, unseren Fokus auf die Bereiche zu legen, in denen wir uns besonders gut auskennen. Meine Stärke liegt im Bereich der Betriebsfestigkeit und ich merke, dass ich in diesen Bereichen Bauteile immer tiefer und genauer auslege als in anderen Bereichen. Aus Sicht der Robustheit sollte das Risiko aller kritischer Schadensmechanismen minimiert werden. Fehlt die persönliche Kenntnis, ist es ideal, Unterstützer z.B. aus Forschungseinrichtungen zu konsultieren. Meine Erfahrung ist, dass diese erstaunlich offen und hilfsbereit sind.

Fazit: Keine Scheu vor neuen und komplexen Schadensmechanismen.

Auf den Punkt

Auf den Punkt gebracht bedeutet dies für uns Entwicklungsingenieure, dass

  • sich Ausfälle stärker auswirken,
  • Sicherheitsrelevante Ausfälle kritischer wahrgenommen werden,
  • die Wechselwirkungen von Bauteilen zunehmen,
  • neben der Komplexität auch die Erwartung an eine höhere Qualität der Produkte steigt.

Man kann also sagen, dass die Aufgaben die auf uns Ingenieuer warten herausfordernd bleiben. Nicht umsonst kann man den Ingenieur auch folgendermaßen schreiben

InGENIEeur 😉

Haben Sie vor allem den Mut, neue Wege zu gehen und nehmen Sie die potenziellen Risiken an. Beginnen Sie dazu in kleinen Schritten. Das schafft schnelle Erfolge und motiviert (näheres dazu in meinem Artikel zur effizienten Einarbeitung in die Betriebsfestigkeit oder Zuverlässigkeit).

Bildquelle: Unplash (bearbeitet), Lizenz: CC0 1.0

Lernen Sie die wichtigsten Methoden zur Auslegung und Erprobung Ihrer Bauteile kennen und anwenden.

Seminar "Bauteile robust auslegen und effizient erproben"

Zielsetzung:

Das Seminar vermittelt eine auf die praktische Anwendung hin orientierte Einführung in die Methoden der robusten Bauteilauslegung.

  • Sie kennen nach dem Seminar die wichtigste Literatur zur Zuverlässigkeitsauslegung von Bauteilen (u.a. VDA Band 3 Teil 2) und wissen, welche Software Sie wie unterstützen kann (u.a. Minitab, Statistika). Die Lösungswege in diesem Seminar werden dabei softwareneutral vorgestellt.
  • Sie lernen die wichtigsten Verteilungsfunktionen (z.B. Weibull und Normalverteilung) kennen und wissen, wie Sie diese ermitteln und anwenden.
  • Sie können Ihre Lebensdauerversuche richtig planen, auswerten und interpretieren. Dabei berücksichtigen Sie die Bauteilgrenzen typischer Anwendungsfälle und stellen diese den Bauteilbelastungen gegenüber. Auf diese Weise ermitteln Sie zuverlässig die Bauteillebensdauer.
  • Sie können die wichtigsten rechnerischen Methoden zur Lebensdauerabschätzung (z.B. Bauteilwöhlerlinien) erfolgreich anwenden.
  • Sie lernen verschiedene qualitative und quantitative Methoden für eine robuste Bauteilauslegung und Zuverlässigkeitsgestaltung kennen.
  • Sie wissen, wie Sie die Lebensdauer von Baugruppen bewerten können. Die in den Theorieteilen behandelten Themen werden durch praktische Übungen in Kleingruppen angewendet und vertieft.

Sie lernen in diesem Seminar:

  • die statistischen Grundlagen der Zuverlässigkeitsmethodik kennen
  • die Bauteillebensdauer und Ausfallwahrscheinlichkeit abzuschätzen
  • mit effizienten Methoden der Lebensdauervalidierung die recherisch abgeschätzte Lebensdauer zu bestätigen
  • praxisorientiert die Bauteilgrenzen durch geeignete Versuche zu ermitteln
  • Versuchsdaten auszuwerten und richtig zu interpretieren
  • Bauteile bezüglich ihrer Lebensdauer gegenüber den Belastungen im Feld sicher auszulegen

Empfohlene Bücher zu diesem Artikel


 

 

ZUVERLÄSSIGKEIT IM FAHRZEUG- UND MASCHINENBAU: ERMITTLUNG VON BAUTEIL- UND SYSTEM-ZUVERLÄSSIGKEITEN

 Autoren: Autor:  B. Bertsche und G. Lechner

Eines der Standardwerke zur Zuverlässigkeit. Es werden alle Themen sehr anschaulich behandelt und verständlich erklärt. Dabei werden sowohl Qualitative Methoden zur Auslegung der Zuverlässigkeit (wie FMEA), als auch quantitative Methoden (wie die Betreibsfestigkeit und Lastannahmen) behandelt. Sehr übersichtlich wird außerdem in die Statistik eingeführt. Alle wesentlichen Verteilungen wie Normal- und Weibull-Verteilungen werden besprochen.

Fazit: aus unserer Sicht ein Standardwerk für jeden Zuverlässigkeitsingenieur.

Veröffentlicht in Betriebsfestigkeit, Lebensdauer, Statistik, Zuverlässigkeit und verschlagwortet mit , .

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