Häufig werden die Methoden der Lebensdauerberechnung und der Betriebsfestigkeit an mehr oder weniger konstruierten Beispielen erklärt. In diesem Beitrag möchte ich Ihnen einen realen Praxisfall eines meiner Leser vorstellen.
Hr. Florian Winter hat in seiner Bachelor Thesis an der Hochschule Darmstadt (Fachbereich Bauingenieurwesen) die "Restnutzungsdauerberechnung einer schwingbeanspruchten Stahlkonstruktion am Beispiel eines Wippdrehkran" untersucht. Betreut wurde diese Arbeit durch Hr. Uwe Streb, Hr. Prof. Dr.-Ing. Walter Pauli und Hr. Prof. Dr.-Ing. Tobias Driesenberg.
An dieser Stelle möchte ich mich ausdrücklich noch einmal bei Hr. Winter für das Bereitstellen der Zusammenfassung seiner Arbeit bedanken.
Aufgabenstellung
Ziel dieser Arbeit ist es, einen Betriebsfestigkeitsnachweis mit anschließender Beurteilung der voraussichtlichen Restnutzungsdauer auf Basis des Nennspannungskonzeptes und anhand eines Beispiels zu führen.
Der für das Beispiel ausgesuchte Doppellenkerkran, gebaut und betrieben um das Jahr 1957, wird mit einem Stabstatikprogramm modelliert und alle reell vorkommenden Lasten und möglichen geometrischen Stellungen gespeichert. Die aus den verschiedenen Lastfallkombinationen berechneten Beanspruchungen dienen als Grundlagen für die Betriebsfestigkeitsberechnung.
Mit Hilfe der Statik werden die am schwersten belasteten Bauteile identifiziert und mittels Betriebsfestigkeitsberechnung die Schädigung und die daraus resultierende Restnutzungszeit bestimmt.
Der Betriebsfestigkeitsnachweis an sich wird mit einem externen, eigens dafür entwickelten Programm geführt. Mit Hilfe des Programms und der oberen und unteren Beanspruchungsgrenzen aus der Statik, wird eine Beanspruchungs-Zeit-Funktion erstellt, die dem Betrieb der gesamten Lebensdauer entspricht. Daraufhin wird die maximale ertragbare Beanspruchung der am schwersten belasteten Bauteile in Abhängigkeit der fertigungstechnischen, geometrischen und äußeren Einflüsse bestimmt.
Bei der Gegenüberstellung der einwirkenden und ertragbaren Beanspruchung wird ein Schädigungsgrad des Bauteils bestimmt, welcher wiederum im Zusammenhang zur Restnutzungszeit steht.
Lösung
Die Schadensberechnung wird für mehrere Bauteile des Auslegersystems geführt. Das Ergebnis für die Schadensberechnung des Auslegersystems entspricht dem, was im Vorab vermutet wurde. Von den neun untersuchten Querschnitten weisen acht auf eine dauerfeste Bemessungsweise hin.
Somit ist es theoretisch (rechnerisch) möglich, den Kran unbegrenzt lange zu betreiben. Das sollte jedoch unter einigen Auflagen stattfinden.
Eine außerordentliche Prüfung mit jährlicher Wiederholung soll den Zustand des Krans, v.a. der untersuchten Stellen dokumentieren und bei evtl. Änderungen des Zustandes geeignete konstruktive Maßnahmen ergreifen.
Zusammenfassung der Ergebnisse
Der Betriebsfestigkeitsnachweis und der Lebensdauernachweis umfassen viele Sachverhalte aus verschiedensten Fachgebieten. Es ist möglich seine Aussage zu verbessern, indem genauere und umfassendere Nachweise geführt werden und mehr Parameter in Betracht gezogen werden. Daher sollte im Einzelfall eine Kosten-Nutzen Analyse im Vorfeld klären, wie umfangreich die Berechnung und die damit einhergehende Beurteilung werden sollen. Die Kosten dieser Untersuchung beinhalten lediglich die Arbeitsstunden des Ausführenden.
Für den Fall des Doppellenkers ist der Nachweis mit dem Nennspannungskonzept ausreichend genug. Die von mir gewählten Parameter der Berechnung wurde stets für ein sicheres Ergebnis gewählt, d.h. die Parameter wurden immer für den ungünstigsten Fall angenommen. Somit ist allerdings eine Überschätzung der Lebensdauer möglich. Aufgrund der Tatsachte, dass die Beanspruchungsamplitude von acht der neun zu bemessenden Querschnitte unterhalb der Dauerfestigkeit liegen, kann die Aussage der Dauerfestigkeit mit relativ hoher Sicherheit gewährleistet werden.
Dem Nachweis der Betriebsfestigkeit kann keineswegs ein universeller Lösungsweg zugrunde gelegt werden. Es liegt im Einzelfall immer in der Verantwortung des Ausführenden, die Richtigkeit der Ergebnisse zu beurteilen.
Nachweis:
Der Betriebsfestigkeitsnachweis und die anschließende Beurteilung der voraussichtlichen Restnutzungsdauer wurden von mir in 8 Teilaufgaben unterteilt, deren Abarbeitung zu einem brauchbaren Ergebnis führen:
Teilaufgabe 1) Erstellen eines Statikmodelles mit allen reell vorkommenden Lasten und Lastkombinationen, geometrischen Stellungen und Sicherheitsbeiwerten der zugrundeliegenden Norm/-en (siehe erstes Bild).
Teilaufgabe 2) Untersuchung der am schwersten belasteten oder schwingbruchgefährdeten Querschnitte der Konstruktion
Das Statikmodell dient als Grundlage und wurde zur „Findung“ des am schwersten belasteten Bauteils verwendet.
Teilaufgabe 3) Bestimmung der einwirkenden Betriebslasten (Beanspruchung) nach Größe, Häufigkeit und Wirkungsrichtung der zu untersuchenden Querschnitte aus Teilaufgabe 2)
Nachdem zunächst die Einstufung der Beanspruchung nach DIN 15018 untersucht und als richtig befunden wurde (B5S2), wurde die Beanspruchung des zu untersuchenden Bauteils mit Hilfe oder oberen und unteren Spannungsgrenze der Beanspruchungsform S2 unterstellt und somit ein Beanspruchungskolletiv erstellt. Der Einfluss der Mittelspannung wurde hierbei mit der Amplitudentransformation berücksichtigt.
Teilaufgabe 4) In Abhängigkeit von werkstofflichen, fertigungstechnischen und umgebungsbestimmten Gegebenheiten ist die ertragbare Beanspruchungshöhe zu bestimmen.
Mit der Rechenmethode nach Hück wurde in Abhängigkeit der fertigungstechnischen und geometrischen Einflüsse die ertrage, dauerfeste Beanspruchung berechnet und in Form einer Bauteilwöhlerlinie dargestellt. Wie Sie die richtige Neigung der Wöhlerlinie finden, habe ich Ihnen in diesem Beitrag zusammengefasst (Link).
Teilaufgabe 5) Festlegung einer Sicherheitszahl für den Vergleich der einwirkenden und der ertragbaren Beanspruchung
Aufgrund von statistischer Grundlagen wurde eine Sicherheitszahl bestimmt, mit der die zulässige Beanspruchungshöhe reduziert wird (z.B. nach folgender Methode Link).
Teilaufgabe 6) Berechnung der voraussichtlichen Lebensdauer mittels Schadensakkumulation nach Palmgren-Miner
Mit Hilfe der Schadensakkumulation wurde nun für das zu untersuchende Bauteil der Grad der Schädigung bestimmt.
Teilaufgabe 7) Ermittlung der schon verbrauchten Lebensdauer mit Hilfe der durch die Einstufung vorgegebenen Schwingspielzahl und der in Teilaufgabe 3) bestimmten Betriebslasten
Mit Hilfe der zugrundeliegenden Beanspruchung und dem Grad der Schädigung kann nun eine Aussage bzgl. der noch verfügbaren Lebensdauer geben werden. Um die Aussage zu verbessern, wurden Teilaufgabe 2-7 für mehrere Querschnitte des Auslegersystems geführt.
Im Ergebnis fürht dies dazu, dass nur ein Bauteil eine endliche Lebensdauer aufweist (vgl. Tabelle im oberen Abschnitt des Artikels).
Ein paar Gedanken zu diesem Beispiel
Das Ergebnis ist durchaus typisch. Üblicherweise haben Baugruppen nur wenige schwache Glieder. Diese gilt es genau zu kennen und möglichst robust auszulegen.
Welchen Schluss ziehen wir aus dieser Untersuchung?
Der Kran ist robust ausgelegt. Er kann noch deutlich länger betrieben werden, obwohl die gedachte Nutzungsdauer bereits erreicht ist.
Was ist dabei zu beachten?
Das Bauteil an der kritischen Stelle muss unbedingt ausgetauscht werden. Gleichzeitig gilt es die nächst schwächeren Bauteile regelmäßig zu inspizieren.
Zusätzlich sollte überprüft werden, welche Auswirkungen ein Versagen eines Bauteiles hat? Sind Menschenleben gefährdet oder nicht?
Vernachlässigt wurden bei dieser Untersuchung die Einflüsse durch Kriechen, Korrosion, Medien,... diese gilt es zusätzlich zu bewerten.
Bei all diesen Untersuchungen werden häufig Lasten angenommen. In Lastannahmen stecken die größten Unsicherheiten! Vor allem, wenn Bauteile so lange betrieben wurden, sollten diese Lastannahmen stark hinterfragt werden und durch Messungen bestätigt sein. Vor allem extremale Ereignisse können Bauteile stark schädigen. Im Vorliegenden Fall können dies beispielsweise starke Winde sein.
Generell gilt: der Teufel liegt im Detail! Bleiben Sie kritisch und gleichzeitig auch neugierig;)
Die Geschichte dieses Krans geht immer noch weiter
in 2019 und 2020 sind Schäden durch Überbeanspruchung aufgetreten (siehe nachstehende Links). Die verschiedene aufwendige Instandsetzungsarbeiten notwendig machten und wenn auch erst als Schadensursache Ermüdung vermutet wurde, waren die Schäden doch immer auf andere Ereignisse zurückzuführen.
Gruß
Uwe Streb
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Hallo Hr. Streb,
vielen Dank Ihnen für die Information und den spannenden Einblick in ihren Berufsalltag. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei der Behebung der Schäden!
Schöne Grüße
Stefan Einbock