Berechnung der (Rest-) Lebensdauer von Bauteilen auf Basis synthetischer Wöhlerkurven (Teil 1/2)

Maschinen und Anlagen werden auf eine festgelegte Betriebsdauer ausgelegt. Nach Ablauf dieser Betriebsdauer sind die Anlagen oftmals noch intakt, da die Auslegung mit Sicherheiten bzgl. der Lastannahmen und der Materialstreuungen geschehen ist. Erfahren Sie in zwei Artikeln, wie Sie die Restlebensdauer eines Bauteils am Ende seiner Betriebsdauer berechnen können.

In diesem ersten Artikel bekommen Sie einen Überblick über die wichtigsten Schritte und Methoden zur Berechnung der Lebensdauer anhend synthetischer Wöhlerkurven.
Im zweiten Artikel lernen Sie anhand eines kurzen Beispieles wie Sie die Restlebensdauer eines Bauteiles berechnen können.

 
Die Auslegung eines Bauteils auf eine definierte Lebensdauer erfolgt in vier Schritten
  1. Festlegung der Betriebsdauer inkl. der geforderten Ausfallwahrscheinlichkeiten (die Anforderungen)
  2. Definition oder Ermittlung der Lasten, die über die Lebensdauer auf das Bauteil wirken (das Amplitudenkollektiv mittels Rainflow Zählung ermittelt)
  3. Abschätzung der Belastbarkeit des Bauteils (die Bauteil-Wöhlerkurve)
  4. Berechnung der Lebensdauer des Bauteils (die Schadensakkumulation nach der Miner-Regel)

 

zu 1) Festlegung der Betriebsdauer inkl. der geforderten Ausfallwahrscheinlichkeiten (die Anforderungen)

Eine Auslegung auf eine definierte Ausfallwahrscheinlichkeit von z.B. 10 % und auf eine festgelegte Betriebsdauer von z.B. 20 Jahre führt zwangsläufig dazu, dass noch 90 % der Bauteile intakt sind. Diese Bauteile haben eine Restlebensdauer. Für die Gesamtheit der Bauteile kann dann für eine höhere Betriebsdauer die Ausfallwahrscheinlichkeit berechnet werden. Mit zunehmender Betriebsdauer steigt dabei die Ausfallwahrscheinlichkeit. In der Betriebsfestigkeit wird die Ausfallwahrscheinlichkeit über die logarithmische Normalverteilung beschrieben. Erfahrungswerte für die Streuungen finden sich z.B. in Haibach*
, siehe auch die Literaturempfehlungen Link.

 

 

Zu 2) Definition oder Ermittlung der Lasten, die über die Lebensdauer auf das Bauteil wirken (das Amplitudenkollektiv mittels Rainflow Zählung ermittelt)

Sind die Betriebslasten kleiner als in der Auslegung angenommen, wird am Ende der Betriebsdauer die Ausfallwahrscheinlichkeit deutlich geringer sein, als angenommen. In diesem Fall kann von einer „echten“ Restlebensdauer gesprochen werden.

Bei der Annahme von Lasten handelt es sich um den unsichersten Punkt. Diese Annahmen können um Faktoren streuen. Für eine Restlebensdauerberechnung ist es deshalb essentiell die genauen, während der Lebensdauer aufgetretenen Lasten zu kennen. Sind diese aus z.B. Messungen bekannt, kann daraus ein Amplitudenkollektiv mittels Rainflow-Zählung abgeleitet werden.
Schwingbrüche resultieren aus Spannungsamplituden. Deshalb sind für den schwingbruchkritischen Bereich die lokal auftretenden Spannungen zu ermitteln (über Messungen oder Rechnungen) und mittels Rainflow-Zählung in ein Spannungs-Amplitudenkollektiv umzurechnen. Siehe folgende Abbildung:
Die Rainflow Zählung zur Ableitung von Lastkollektiven aus Lastdaten.

Aufbereitung von Last-Zeit-Verläufen zu Lastkollektiven mittels Rainflow Zählung

zu 3) Abschätzung der Belastbarkeit des Bauteils (die Bauteil-Wöhlerkurve)

Aus dem zweiten Schritt sind die auf das Bauteil wirkenden Spannungsamplituden und damit die Belastung bekannt.
Die Belastbarkeit des Bauteils wir durch die Wöhlerlinie beschrieben. Unter der Wöhlerlinie wird hierbei die lokale Werkstofffestigkeit verstanden. Lokal bedeutet dabei, dass die Wöhlerlinie neben dem Werkstoff wesentlich von der Geometrie, der Oberflächenbeschaffenheit, dem Fertigungsverfahren und den Umgebungsbedingungen abhängt, weshalb von einer Bauteilwöhlerlinie gesprochen wird. Diese kann entweder experimentell am realen Bauteil ermittelt, oder rechnerisch abgeschätzt werden.
Für das vorliegende Beispiel wird die Bauteilwöhlerlinie rechnerisch abgeschätzt. Wichtig ist dabei, dass hier Abnahmen der Festigkeit durch z.B. Korrosion nicht berücksichtigt werden können. Ist dies relevant, muss ein experimenteller Nachweis erfolgen.
Bei einem rechnerischen Nachweis sollte auf eine Richtlinie oder Norm zurückgegriffen werden. Dies können z.B. die FKM-Richtlinie* sein. Da diese relativ komplex sind, wird eine Alternative vorgestellt.
Im Buch Leitfaden für eine Betriebsfestigkeitsrechnung: Empfehlungen zu Lebensdauerabschätzung von Maschinenbauteilen*
wird ein Vorgehen für die rechnerische Abschätzung der Bauteilwöhlerlinie beschrieben, das in seinem Ablauf einem Kochrezept ähnelt. Den genauen Ablauf finden Sie auch programmiert in einem Excel Tool im Download Bereich.
Nach diesem Vorgehen wird ausgehend von der Wöhlerlinie des Werkstoffes über mehrere Zwischenschritte die Bauteilwöhlerlinie berechnet. In diesen Zwischenschritten werden die Einflüsse
  • der Geometrie (über den Spannungsgradienten und die Bauteilgröße),
  • der Belastung (über die Belastungsart und Mittelspannung),
  • der Oberfläche (über die Rauheit) und
  • des Fertigungsverfahrens (über den Einfluss des Schmiedens)
berücksichtigt. Als Ergebnis erhält man die Wöhlerlinie (Dauerfeste Amplitude, Knickpunktzyklenzahl und Neigung) für eine Ausfallwahrscheinlichkeit von 50 %. Vergleiche auch nachfolgende Abbildung.
Einflüsse auf die Wöherkurve des Bauteils

Schematische Berechnung der Bauteilwöhlerkurve aus Werkstoffdaten

zu 4) Berechnung der Lebensdauer des Bauteils (die Schadensakkumulation nach der Miner-Regel)

Über den Vergleich der Lasten (Spannungskollektiv) und der Belastbarkeiten (Bauteil-Wöhlerlinie) wird die Lebensdauer berechnet. Dazu wird für jedes Niveau der Spannungsamplituden die Anzahl der auftretenden Schwingspiele ni aus dem Amplitudenkollektiv bestimmt und die Anzahl der ertragbaren Schwingspiele Ni aus der Bauteilwöhlerlinie berechnet. Der Quotient aus auftretender zu ertragbarer Schwingspielzahl ist die Teil-Schädigung (di = ni/Ni) für eine Spannungsamplitude. Es wird dabei die Annahme getroffen, dass Spannungsamplituden unterhalb der Dauerfestigkeit zu keiner Schädigung des Bauteils führen. Die Summe aller Teilschädigungen ergibt dann die Schadenssumme des Amplitudenkollektives DKoll . Erreicht die Schadenssumme einen Grenzwert, z.B. DGrenz = 1, ist das Lebensdauerende erreicht. Ist die Schadenssumme des Amplitudenkollektives DKoll < 1 bedeutet dies, dass das Kollektiv i-mal wiederholt werden kann, bis die Schadenssumme Dgrenz erreicht wird (Dgrenz = 1 = i * DKoll).

Dabei ist zu beachten, dass nur ganzzahlige Wiederholungen i des Kollektives erlaubt sind, bis die Grenzschadenssumme erreicht ist. Die nachstehende Abbildung zeigt das Vorgehen.
Berechnung der Bauteil-Schädiung mittels Miner-Regel

Schematische Darstellung der linearen Schadensakkumulation nach der Miner Regel

 

Bildquelle: Pixabay (bearbeitet), Lizenz: CC0 1.0
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